84 Werdegang
Was man in und mit seinem Leben anfangen soll, ist wohl die grosse Frage, die jedem von uns gestellt ist. Und gestellt bleibt, solange man lebt. Man sollte sich das aber nicht so theoretisch vorstellen. Also nicht fragen: Was soll ich nur mit meinem Leben anfangen?! Sondern was tue ich heute und morgen konkret? Das hat den grossen Vorteil, sich nicht ins Philosophieren zu verlieren, sondern Gelegenheiten zu erkennen und wahrzunehmen. Dadurch kommt man nämlich auch dann weiter, wenn man eben nicht weiter weiss. Natürlich scheint es schön, zu wissen was man will. Aber das kann man nicht erzwingen. Es muss sich entwickeln - und es entwickelt sich mit jeder realen Erfahrung. Nur Abwarten bringt nichts. Mein Vater sagte mir einmal, er habe keine bestimmten Pläne verfolgt und hätte sich das, was er schliesslich machte, gar nicht vorstellen können. Das half mir damals natürlich nicht unmittelbar weiter. Die Zuversicht, die er mir damit wohl geben wollte, hatte ich ja gerade nicht. Auch später nicht. Dass ich schliesslich zum Fernsehen ging, war einfach der Versuch etwas auszuprobieren. In vieler Hinsicht bedeutete das, ausgerechnet Dinge zu tun, die mir besonders schwer fielen. Doch genau das hat mich - unter vielen Schmerzen - weitergebracht. Allerdings erst im Verlauf von manchen Jahren... Doch hatte ich eben nie das Gefühl, wirklich eine Wahl zu haben. Was hätte ich denn sonst tun sollen? Es gibt Menschen, die immer wieder neue Pläne haben. Schön wenn sie die Möglichkeit haben, diese auszuprobieren. Wer keine Pläne hat, soll ausprobieren, was sich von Fall zu Fall ergibt. Er hat gegenüber dem Gross-Planer sogar den Vorteil, dass er die Augen für Gelegenheiten offen halten kann, während der andere aufpassen muss, dass ihn das Verfolgen seiner Pläne nicht blind macht. Denn Angebote des Lebens zu erkennen ist noch wichtiger, als (schon) zu wissen, was man will. Weil es nämlich ohne die günstigen Gelegenheiten gar nicht geht. Kein Wille allein schafft eine Welt - ausser der göttliche, wenn es ihn denn gibt.
Jemandem raten ist in diesen Fragen heikel. Es gibt allerdings wirklich gute Berufsberater, die nicht einfach Berufe empfehlen, in denen gerade Bedarf besteht. Den erstaunlichsten Berufsberater habe ich erlebt, als unser Sohn die Steiner-Schule nach 11 Schuljahren vorzeitig verliess. Der Mann sagte uns doch tatsächlich: Es wäre unsinnig, für ihn eine Lehrstelle zu suchen. Er werde seinen Weg selber finden. Der Weg führte ihn über ein Callcenter und die Aufsicht in einem Spielsalon zu Sunrise - bis es ihm dort zu dumm wurde. Er kündigte ohne andere Arbeit zu haben. Also ging er zum RAF. Zwei Tage später war bei Nikon. Fotografie war schon lange sein grosses Interesse. Aber Fotografen braucht es viel weniger als es werden möchten... Am einfachsten zu raten ist es tatsächlich bei allen schöpferischen, künstlerischen Tätigkeiten. Da soll man nämlich einfach den Mund halten. Solche Berufe soll wirklich nur wählen, wer gar nicht wählen muss bzw. wählen kann. Das sind eigentlich weniger Berufe als Lebensweisen.