298 Was Intelligenz ist - und was nicht
Gut gelungenes Video von Philip Häusser auf Terra X Lesch & Co., das sozusagen das Einmaleins erklärt. Und dieses wird bei komplexeren Aufgaben sehr schnell viel komplizierter. Schon Dinge, die unser Gehirn spielend löst, erfordern dann einen Denkaufwand, der mich schnell überfordern würde. Diese Schwierigkeit scheint mir zu einer Fehleinschätzung zu verleiten. Sie zeigt sich auch im Begriff künstliche "Intelligenz". Es geht dabei nämlich um eine Vorstufe von Intelligenz, der gerade das fehlt, was menschliche Intelligenz eigentlich auszeichnet, nämlich dass sie zu neuen Erkenntnissen führen kann. Das schöne Beispiel mit der Nachahmung von Kunststilen ist verräterisch. Es wird ja wohl klar sein, dass es dabei nicht um Kunst geht, sondern um Imitation. Das mag schwierig genug sein und als Nachbildung eine grosse Leistung – solange man nicht verkennt, was Kunst wirklich ausmacht. Nämlich Aussagen zu gestalten, die anders nicht auszudrücken sind als gerade in der vom Künstler neu (!) erfundenen Form. Dass er studiert hat, was grosse Vorgänger geleistet haben und wie sie das erreicht haben, das kann hilfreich sein. Aber es ist erst Handwerk und noch keine persönliche Handschrift. (Handschrift war einmal, dass jemand tatsächlich mit einem Stift in seiner Hand auf Papier geschrieben hat. Das kann ich kaum noch so, dass man es lesen könnte.) Es reicht im Übrigen auch nicht, die Regeln herauszufinden und davon dann abzuweichen, um etwas Eigenes zu schaffen. Solchen Zufallstreffern (so sie überhaupt irgendwohin treffen) fehlt gerade die Qualität, Aussage zu sein, also nicht bloss Spielerei, sondern etwas ausdrücken zu wollen - oder wohl richtiger: zu müssen. Die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, Neues zu (er)finden wird ja damit erklärt, dass die Neuronen im Gehirn gerade nicht fest "verdrahtet" sind, sondern dass da Synapsen, dh kleine Lücken zu überspringen sind und damit also das Ziel nicht gänzlich festgelegt ist. Darum kann ein Gedanke plötzlich ganz anderswo landen - und sogar an einem Punkt, wo noch nie jemand war. Auch das wird sich maschinell nachbilden lassen und ist wohl schon geschehen. Den Zufall dann in riesigen Dimensionen spielen zu lassen, das mag dem Prozess der Evolution entsprechen: Was besser als das Bestehende ist, setzt sich durch, alles andere war einfach ein Schuss ins Leere. Mit "Intelligenz" hat das aber nichts zu tun, ausser man würde auch die Evolution "intelligent" nennen. Als Sprachwissenschaftler weiss ich, dass dagegen kein Kraut gewachsen ist. Denn die Anwendung, die sich durchsetzt, bestimmt den Sinn eines Wortes. Nur müsste man dann für die spezifisch menschliche Fähigkeit, die einmal Intelligenz genannt wurde, ein neues Wort finden. Solange man aber meint, künstliche Intelligenz bilde die menschliche Intelligenz vollständig nach, ist die Gefahr gross, reduktionistischen Abbildern auf den Leim zu gehen.
21.05.2019
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