51 Glück in der Wüste
Kaum hatte ich in der Klavierstunde die ersten Tasten einigermassen richtig drücken gelernt, „komponierte“ ich schon meine ersten Stücke. Unvollendete „Kompositionen“ säumten meinen Weg bis weit ins Studium hinein. Aus den Anfängen ergab sich einfach kein Weg weiter. Nach dem Studium warf ich mich ins sekundäre Leben: Radio-Sendungen über Kompositionen und Schriftsteller. Fernseh-Beiträge über kulturelle Ereignisse und Portraitfilme über Künstler. Nicht mit der journalistischen Optik des Kunstrichters, der kritisch hinterfragt und prägnante Urteile fällt. Sondern identifikatorisch: Was ist die Motivation, die Inspiration, die (Ab)Sicht einer Tänzerin, eines Dirigenten, eines Theater-Erfinders? Heute denke ich: Immer mit der unbewussten Frage, wie machen die das, dass sie über Anfänge hinaus kommen. Und natürlich ohne darauf eine Antwort zu finden. Immerhin merkte ich, dass sich bei intensiver Beschäftigung mit einem Thema mit der Zeit allmählich eine Gesamt-Vorstellung entwickelt. Aus ihr muss der Anfang genährt sein, wenn es darüber hinausgehen soll. Nicht dass das Werk getan wäre, wenn man anfängt. Es ist mehr ein Gefühl für etwas „Ganzes“. Und mit der Zeit auch die Zuversicht, dass es einen Weg zum Ausgang gibt. (Meine grösste Angst als Primarschüler noch lange: den Weg nachhause nicht mehr zu finden, wenn wir am Stadtrand entlassen wurden…) Mit der Zuversicht wird es sogar möglich, neugierig voranzuschreiten, offen für alles, was dabei begegnen kann, ja sogar auf Entdeckungen und Überraschungen hoffend. Es eilt ja nicht - im Gegenteil. Die Zeit der Expedition ins Geahnte doch Unbekannte ist das Schönste, was es gibt. Wenn ich morgen erst angehe, was ich heute auch angehen könnte, kommt dabei etwas anderes heraus. Was besser wäre, weiss niemand, denn niemand kennt beides. Früher war es für mich ein Rätsel, wie jemand zum Beispiel eine ganze Sinfonie schreiben kann, die in jedem Moment gut ist – und nicht nur gelungene Stellen hat wie Oasen in der Wüste. Man muss sich nur in die Wüste vertiefen, nicht Oasen malen. Dann sieht der Hörer die Vielfalt der Strukturen, Formen und Farben der Wüste, und glaubt sich in einer Oase des Glücks.