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Auf den Spuren der Seidenstrasse in USBEKISTAN - 4. Tag: Chiva


Samstag, 22.04.17

260 Glücksfall

Unser Reiseführer hier heisst Abduscharip und ist Direktor der Schule für alle touristischen Berufe in diesem Gebiet. Das wirkt sich aus: Überall kennt man ihn und er schüttelt immer wieder Hände. Ich habe den Eindruck, dass er sehr beliebt und geachtet ist. Führungen macht er selbst nur wenige und ausschliesslich private. Für "unsere" Reiseagentur arbeitet er zum ersten Mal - weil wir aus der Schweiz kommen. Warum er Schweizer bevorzuge? Weil sie interessiert, angenehm und gebildet seien. Es könnte aber auch sein, dass er gezielt den Tourismus aus der Schweiz nach Usbekistan anstossen will. Zwei begeisterte Touristen im ersten Jahr ergeben doppelt bis dreimal soviele im nächsten und noch viel mehr im übernächsten. Er kann auf direkte Anfrage Reisen in allen Preislagen organisieren - billiger als Agenturen mit zwischengeschalteten Vermittlern. Sein Angebot können wir nur empfehlen! Einen besseren Reiseführer kann ich mir nicht vorstellen. Er ist höchst angenehm im Umgang, kompetent in seinen Informationen, erzählt eindrückliche Geschichten (siehe unten), kann alle Fragen kenntnisreich beantworten, geht auf Wünsche ein, stellt verbreitete Ansichten intelligent in Frage (siehe unten), gibt auch Einblicke in sein privates Leben - was kann man mehr wünschen?


Abduscharip   atajanov60@mail.ru

Abduscharip atajanov60@mail.ru

261 Pachlavan Machmud

Abduscharip erzählt:

Der usbekische Gerber und stärkste Ringer ganz Mittelasiens wurde nach Indien eingeladen, um dort gegen den besten indischen Ringer zu kämpfen. Am Abend vor dem Kampf begegnete er einer weinenden Frau. Er fragte sie, warum sie weine und erfuhr, dass sie die Frau seines indischen Gegners sei. Der werde besiegt werden. Dann sei seine Karriere zu Ende und seine Familie werde hungern. Da versprach er, dass ihr Mann siegen werde. Am nächsten Tag fand der Kampf statt. Der Sieg von Pachlavan Machmud zeichnete sich schon ab, da erinnerte er sich an sein Versprechen. Er ging auf die Knie, was als Zeichen der Niederlage galt, und überliess dem indischen Ringer den Sieg.

Nachher blieb er in Indien. Eines Tages ritt der indische König bei ihm vorbei und kam von der Strasse ab. Pachlavan Machmud hob König und Pferd auf und stellte sie wieder auf die Strasse. Da fragte der König, warum er denn gegen den indischen Ringer verloren habe. Er erzählte ihm von der Begegnung mit der weinenden Frau. Das beeindruckte den König so, dass er Pachlavan Machmud einen Wunsch erfüllen wollte. Der aber sagte, er sei wunschlos glücklich. Doch der König bestand darauf. Da erinnerte sich Pachlavan Machmud der usbekischen Sklaven in Indien. Und er wünschte sich, dass der König soviele freilasse, wie auf einer Kuhhaut Platz hätten. Auf diese zwei-drei glaubte der König leicht verzichten zu können. In der Nacht machte sich Pachlavan Machmud der Kürschner ans Werk. Am anderen Tag zeigte er dem König seine Kuhhaut mit der Ausdehnung eines ganzen Saals. Aber ein königliches Wort ist ein Wort. Mit dem ganzen Trupp befreiter Usbeken kehrte Pachlavan Machmud in die Heimat zurück. Er siedelte sie in einem neuen Dorf an und baute mit ihnen die Kanäle zur Bewässerung der Felder, die erst in den letzten Jahren durch Wasserleitungen ersetzt wurden.

262 Die Sprache der Musik

Abduscharip erzählt:

Ein König hatte ein weisses Pferd mit schwarzen Flecken, das er über alles liebte. Doch das Pferd wurde alt und sein Tod war absehbar. Der König drohte, wer ihm den Tod seines Lieblingspferds mitteilen werde, müsse sterben. Als das Pferd gestorben war, fand sich niemand, der dem König die traurige Nachricht überbringen und sterben wollte. Da hörte ein Hirte davon und meinte, für ihn sei das kein Problem. Er ging zur Jurte des Königs, jedoch nicht hinein sondern auf der Gegenseite hinter den Thron. Dort spielte er auf seinem Instrument eine Musik von Geburt, Jugend, Reife, Alter und Tod. Der König kam heraus und sagte: Du willst mir wohl den Tod meines Pferds mitteilen? Der Hirte jedoch antwortete: Das haben Sie gesagt, Herr König. Ich habe nur musiziert.

263 Berichtigungen

Die herausragenden Stäbe an manchen Minaretten werden im Reiseführer als Abwehr gegen böse Geister erklärt. Abduscharip fragt: Wer ist klüger, der Mensch oder der böse Geist? Das sind bloss Träger für die Bretter, auf denen die Arbeiter die Kacheln anbringen sollten. Doch das Geld dafür fehlte und darum blieben die Kacheln aus.

Das Kurze Minarett von Chiva gilt als unvollendet. Abduscharip widerspricht: Zuoberst sind die Namen der Geldgeber, des Architekten und der Baumeister auf den Kacheln eingeschrieben. Das Minarett beeindruckt durch seine Breite und Masse, es war nicht höher geplant.

264 Namen...

Viele bedeutende und berühmte Gelehrte haben an den vielen Medresen von Chiva gelehrt, die eben nicht "Koranschulen" waren, sondern Universitäts-Institute. Das Problem ist, dass wir uns ihre Namen kaum merken können. Der berühmteste Sohn der Stadt ist Abu Dschafar Muhammud ibn Musa al-Choresmi. Er war Mathematiker, führte die Zahl Null ein und trug viel zur Entwicklung der Algebra bei. Auf seinen Namen geht der Begriff Algorithmus zurück. Wenn er wüsste, was er ausgelöst hat...

265 Fataler Effekt

Beim Besuch einer Moschee muss man die Schuhe ausziehen. Nichts dagegen. Allerdings wird man drinnen dann von Fussschweis-geschwängerter Luft empfangen. Spätestens seit Proust weiss man, wie stark Gerüche sich mit bestimmten Situationen verbinden und einprägen...

Nachtrag von Bella:

Früher musste man sich auch die Füsse waschen. Das schonte die Nase.

266 Der Künstler auf dem Thron

Abduscharif erzählt:

Muhammad Rahimxon II (1864-1910),

einer der letzten Chans von Chiva, war vor allem den Künsten zugetan und selbst als Dichter aktiv. Er versammelte Dichter, Künstler und Musiker zu langen Zusammenkünften um sich. Im späteren Verlauf des Abends spielte einmal eine Musikgruppe. Der Chan hörte mit geschlossenen Augen zu. Oder war er vielleicht eingeschlafen? Schon ziemlich müde spielte einer der Musiker falsch. Da gab der Chan Befehl, sein Haus zu zerstören. Am Ende des Abends belohnte er alle Teilnehmer, ausser dem Falschspieler. Dieser fragte ihn, warum er so schlecht behandelt werde. Du hast die Musik zerstört und ich habe nichts gesagt, war die Antwort. Was fragst du mich nun?


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