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Auf den Spuren der Seidenstrasse in USBEKISTAN - 8. Tag: Samarkand


Mittwoch, 26.04.17

281 Bibi-Chanum Moschee

Diyor erzählt:

Die Frau von Amir Timur wollte ihm eine Überraschung bereiten. Während er auf einem Feldzug war, liess sie eine neue Moschee bauen, die grösser werden würde als alle bestehenden. Da kam die Nachricht, dass der Feldzug schneller erfolgreich war als erwartet. Die Frau liess den Baumeister zu sich kommen, damit er die Arbeiten vorantreibe und der Bau auf die Rückkehr Amir Timurs fertig werde. Der versprach das - unter einer Bedingung: dass er einen Kuss von ihr bekomme. Sie lehnte entrüstet ab. Doch er könne sich aus ihren Sklavinnen eine auswählen - oder soviele er wolle. Bei den Eiern gebe es von aussen gesehen auch ganz verschiedene in Grösse und Farbe. Doch innen seien sie alle gleich. So sei es auch mit den Frauen. Der Baumeister entgegnete: Wenn er zwei gleiche Gläser fülle, das eine mit Wasser, das andere mit Weisswein, dann sei sein Erlebnis ganz verschieden, je nach dem aus welchem er trinke, auch wenn sie aussen gleich aussehen. So sei es bei der Liebe. Da gewährte sie ihm einen Kuss. Der war so leidenschaftlich, dass ein roter Fleck zurückblieb. Amir Timur war bei seiner Rückkehr beeindruckt von der riesigen Moschee, die fertig dastand, wo bei seinem Auszug nichts gewesen war. Der rote Fleck auf der Wange seiner Frau aber gefiel ihm weniger. Sofort liess er nach dem Baumeister suchen. Der aber war bereits vom Minarett aus davongeflogen. --- Tatsächlich liess Amur Timur die riesige Moschee selber bauen. Die Grösse sollte den Menschen bewusst machen, wie klein sie sind. Doch Amur Timur sagte auch: Wer wissen will, wie mächtig und stark wir sind, muss nur unsere Bauten ansehen. Allerdings stürzte der Eingang zur Moschee bald nach der Fertigstellung ein. Auch das ein Sinnbild. Heute werden die einst stark zerfallenen Bauten mit grossem Aufwand rekonstruiert und restauriert. Was das heisst, merkt man so richtig, wenn man den Restauratoren im schon annähernd fertigen Teil bei der Arbeit zusieht - und das vergleicht mit dem Zustand, in dem ein noch unrestauriertes Gebäude sich präsentiert, das von den Tauben bewohnt ist. Der Unterschied ist so gross wie die Bauten selbst.

282 Bei der Tante


Für das Nachtessen führt Diyor uns in das Haus der Familie seiner Tante, nachdem er gefragt hat, ob wir das möchten. Wir möchten sehr. Die Tante ist Ärztin im Militärkrankenhaus, pensioniert zwar, doch sie arbeitet reduziert weiter. Das kann man bis 64, allerdings mit nur halber Rente. Vorher muss man voll arbeiten. Ihr Mann Bahtjar war nach dem Jus-Studium Polizei-Offizier, arbeitete nach der Pensionierung mit 55 als Anwalt und ist jetzt ganz in Rente. Sie sind herzliche, interessierte und zugewandte Menschen. Zwei Söhne sind bereits verheiratet, die Tochter studiert in Taschkent Jus. Die beiden Schwiegertöchter sind auch hier - und die drei Enkel. Anfangs haben alle in dem 8-Zimmerhaus gewohnt. Es wurde vom Grossvater erbaut und mit der Zeit erweitert, sodass mehrere Familien darin nebeneinander wohnen konnten. Diese Form des Zusammenlebens in der Grossfamilie ist ganz wichtig für die Usbeken. Allerdings hat der ältere Sohn, der Anwalt ist und zur Zeit befristet in Buchara arbeitet, nun selbst ein Haus gekauft, in das sie bald einziehen. Für die Zwischenzeit hat er eine Wohnung gemietet. Die Familie empfängt uns unkompliziert herzlich. Wir kommen leicht ins Gespräch, nur muss Diyor übersetzen, weil die Englisch-Kenntnisse nicht weit reichen. Es beginnt damit, dass wir "zusammen kochen", was heisst, dass die Tante uns die vorbereiteten Zutaten zeigt und zu kochen beginnt. Ausser im Winter geschieht das am Rand des gedeckten Innenhofs, wo es kühler ist als im Haus. Für das Essen ist es jetzt aber draussen am Abend noch etwas zu kühl. Durch das Wohnzimmer mit dem grossen Tisch für 20 Personen - für die Feste mit den vielen Verwandten - kommt man ins Esszimmer. Der niedere Tisch ist bereits reich mit verschiedenen Nüssen, getrockneten Aprikosen, gesalzenen Kichererbsen gedeckt. Stühle gibt es nicht. Man sitzt auf Kissen. Zuerst ist es nicht ganz leicht, die ungewohnten Beine in eine bequeme Position zu bringen. Es gibt den obligaten Tee und Quitten- und Pflaumensaft. Bahtjar macht die Tee-Zeremonie: Dreimal wird eine Tasse eingeschenkt und wieder in die Kanne zurückgeleert, damit der Tee gut durchmischt wird. Dann wird die Tasse nur zu einem Drittel gefüllt, weil der Tee in der Tasse schneller abkühlt als im Krug. An der Wand stehen vier schöne Truhen, auf denen farbenprächtige Decken verschieden hoch aufgeschichtet sind. Es sind die Aussteuern für die (erwachsenen und teils verheirateten) Kinder. In der Mitte stehen die vergoldeten (?) Aussteuer-Truhen der Eltern und Grosseltern - je älter desto kleiner. Immer wieder bringen die Frauen etwas: zuerst Tomaten- und Gurkensalat, dann eine Bouillonsuppe mit selbstgemachten Teigwaren, Gemüse und etwas Fleisch. Das Gespräch geht bruchlos ins Essen über. Auch die Kinder kommen an den Tisch und bedienen sich frei an den bereitstehenden Kleinigkeiten. Von den Erwachsenen sind einmal mehr, einmal weniger am Tisch. Das Essen bildet den Rahmen für ein fliessendes Zusammensein. So sei es am Abend üblich, am Mittag sei dafür nicht genug Zeit. Liebevoll gehen die Grosseltern und Mütter mit den Kindern um - und diese ahmen das untereinander nach.

Die Enkelin Jasmin ist zuerst etwas kokett-scheu, dreht dann auf und führt schliesslich eine Gymnastik-Einlage vor. Dann demonstriert uns die Frau des jüngeren Sohns, die Medizin studiert, die traditionelle Zeremonie vor der Hochzeit. Sie macht das voller Liebreiz und gleichzeitig zurückhaltend - wie eine Braut eben. Die Tante selbst führt zum Schluss die traditionelle Kinderwiege vor. Sie kommt mir sehr aufwändig vor, und ich frage, ob das sich denn wirklich alle Leute leisten könnten. Alle Leute machten das so, wird mir entschieden versichert. Dann singt eine der Frauen ein traditionelles Wiegenlied und eine andere schaukelt die Wiege mit der lebensgrossen Puppe. Ob diese detaillierten Traditionen nicht als einschränkend empfunden werden, wollen wir wissen. Die Anwesenden sehen da kein Problem. Auch Diyor nicht, der abwarten muss, bis sein älterer Bruder geheiratet hat, bevor er selbst an der Reihe ist. Immerhin kann er seine Braut selber wählen. Das haben seine Eltern von Anfang an gesagt. Früher waren arrangierte Ehen üblich. Heute noch gibt es Junge, welche die Hilfe der Eltern brauchen, wie Diyor das formuliert.

Nach den von der Familie für diesen ersten Besuch von Touristen in ihrem Haus vorbereiteten Vorführungen berührt das Gespräch auch verschiedene politische Themen. Putin wird positiv beurteilt als der Mann, der ausführt, was das russische Volk wolle. Die Annexion der Krim sei doch nach einer Abstimmung erfolgt und dadurch legitimiert. Die EU wird kritisch gesehen, ebenso Angela Merkel und ihre Emigranten-Politik. Über den neuen Präsidenten von Usbekistan, der mit über 90% der Stimmen für 3 (?) Jahre gewählt wurde, haben wir von allen nur Positives gehört. Alle dürften froh sein, dass der erste Präsident den Übergang in die Selbständigkeit offenbar gut gemanagt hat und jetzt ein neuer Wind angesagt ist. Der erste Präsident war schon zu sowjetischer Zeit im Amt und seit der Unabhängigkeit 1991 25 Jahre lang. Für ihn wurde die Amtszeitbeschränkung angepasst. Mal sehen, wie der neue Präsident das macht. Dass alles daran gesetzt wird, jede religiöse Radikalisierung zu verhindern, ist bei einem Land mit 36 (!) Nationalitäten von grösster Bedeutung.

Dass eine Schweizer Familie fremde Gäste so unkompliziert selbstverständlich, erfreut, ja herzlich empfängt, ist kaum vorstellbar. Nicht einmal weil sie nicht wollten, sondern weil im Alltagsplan dafür kaum Platz wäre. Sogar Geschenke hat die Familie von Samarkand für uns vorbereitet. Ich bekomme ein selbst gemachtes Tüchlein mit goldigen Verzierungen und einen schönen selbstgestickten Bild-Wandbehang. Gäste zu beschenken, scheint ebenfalls Tradition zu sein. Schon bei der Ankunft übergaben uns der Reiseleiter Georgiy und der Fahrer Juriy zwei typisch usbekische Kopfbedeckungen als Geschenk. Und bei der Verabschiedung von Diyor bekommen wir eine Tonfigur und eine kleine Puppe. Alles schöne und typische Dinge. Wir können uns nur mit einem Geldgeschenk revanchieren. Mit seiner Einladung in die Familie seiner Tante hat uns Diyor einen Höhepunkt dieser Reise geschenkt. Das setzt seiner sympathischen, engagierten, kenntnisreichen und immer hilfsbereiten Führung durch Samarkand die Krone auf.


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